Gewohnheitsrecht

Gewohnheitsrecht
Ge|wohn|heits|recht 〈n. 11; unz.〉 nicht schriftlich festgelegtes, aber durch Gewohnheit verbindlich gewordenes Recht

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Ge|wohn|heits|recht, das <Pl. selten> (Rechtsspr.):
schriftlich nicht festgelegtes Recht, das durch fortwährende Praktizierung u. längere Tradition verbindlich ist.

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Gewohnheitsrecht,
 
eine Rechtsquelle, die im Unterschied zum gesetzten Recht nicht im Wege eines formalisierten Rechtsetzungsverfahrens, besonders der Gesetzgebung, entsteht, sondern durch stetige, von Rechtsüberzeugung getragene Übung (lateinisch consuetudo) in einer Rechtsgemeinschaft hervorgebracht wird. Gewohnheitsrecht spielt eine Rolle, wo eine zentralisierte und staatlich garantierte Rechtserzeugung nicht oder noch nicht zur Wirksamkeit gelangt ist, wie besonders in älteren Kulturstufen vor Ausbildung der neuzeitlichen europäischen Staaten. Dadurch, dass Gewohnheitsrecht aufgezeichnet wird, etwa in einem Rechtsbuch wie dem Sachsenspiegel, oder einer »Anerkennung« durch die Gerichte bedarf wie im englischen Common Law, verliert es seine besondere Eigenschaft als »ungeschriebenes« Recht nicht. Die rationale und technische Überlegenheit des gesetzten Rechts mit allen seinen verfassungsrechtlichen und institutionellen Vernünftigkeitsvorkehrungen kann den großen Vorteil des Gewohnheitsrechts nicht wettmachen, der darin besteht, dass das Recht sich hier durch die lang dauernde Erfahrung und gedankliche Durchdringung bewährt hat und sich von bloßen Interessen und zeitgebundener Einseitigkeit weitgehend frei halten kann. Die historische Rechtsschule Anfang des 19. Jahrhunderts (F. C. von Savigny) verankerte diese Gerechtigkeitsbedingungen des Gewohnheitsrechts in einem idealisierten »Volksgeist« und »Juristenrecht«. Das wesentliche Feld des Gewohnheitsrechts war das Privatrecht, wo im römischen und im angelsächsischen Recht die beiden bedeutenden Rechtssysteme auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage entstanden. Im Staats- und besonders im Verwaltungsrecht war und ist Gewohnheitsrecht von ganz untergeordneter Bedeutung, da hier das politische Gestaltungsinteresse vorherrscht. Der sich mit dem Gewohnheitsrecht verbindende Begriff der Observanz bezeichnet eine nur örtlich geltende Norm des Gewohnheitsrechts, z. B. über die Rechtslage an einer älteren Straße. Im Völkerrecht, das weitgehend ohne eine institutionalisierte (staatlich bestimmte) Rechtserzeugung auskommen muss, sind Vertrag und Gewohnheitsrecht die wesentlichen Rechtsquellen.
 

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Ge|wohn|heits|recht, das <Pl. selten> (Rechtsspr.): schriftlich nicht festgelegtes Recht, das durch fortwährende Praktizierung u. längere Tradition verbindlich ist: dabei vergisst man aber das G., welches viele Lücken des geschriebenen Gesetzes zu füllen hat (Fraenkel, Staat 115).

Universal-Lexikon. 2012.

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